Kant färbte seine Antwort nicht in den sanfteren Farbtönen der natürlichen Unmündigkeit (etwa durch unreifes Alter) oder der gesetzlichen Unmündigkeit (wie nach einer krankheitsbedingten gesetzlichen Entmündigung). Er zeichnete seine Antwort vielmehr in den leuchtenden Farben der moralischen Unmündigkeit, welcher alleinig durch selbstverantwortliches Handeln und entschlossene Selbstreflexion zu entkommen sei. Bequemlichkeit und Trägheit sind somit unter anderem wichtige Faktoren, die der Mündigkeit eines Menschen deutlich im Weg stehen können.

Die selbst verschuldete Unmündigkeit

Doch es ist genau dieser Punkt der selbst verschuldeten Unmündigkeit, welcher unzähligen Selbsthilfebüchern und –Kursen in den unterschiedlichsten Bereichen als Angriffspunkt dient. Die wenigsten Selbsthilfebücher bieten erprobte und getestete Lösungsmöglichkeiten, sondern spiegeln vielmehr die persönliche Meinung des Autors wider. Auch akademische Titel sind hier kein Garant für adäquate Information. In allzu vielen Fällen sind diese Titel auf gänzlich anderen Gebieten erhalten worden und geben ein fachliches Wissen vor, welches für die betreffende Thematik einfach nicht vorhanden ist.

Trotzdem werben Autoren und Verlage fleißig, dass genau dieses Buch, Programm oder was auch sonst die ultimative Lösung für ein spezifisches Problem darstellt. Denkt man an Kants Definition zurück, so fällt unangenehm auf, dass diese Werke, welche den Menschen von einer gewissen Problematik zu befreien versprechen, diesen in Wirklichkeit zwar bei seiner eigenen Unmündigkeit abholen, ihn dann aber auch schön dort lassen. Problemlösung durch passives Aufsaugen vorgefertigter Massenlösungen ist anscheinend ein Garant dafür, dem Kunden auch zu einem späteren Zeitpunkt weitere, dann bessere und noch innovativere Lösungen für seine Probleme verkaufen zu können.

Schnelllebige Oberflächlichkeit

Selten jedoch leitet ein Buch oder Programm einen Hilfe suchenden Menschen dazu an, selbstreflektorisch und durch selbst erworbene Erkenntnisse den Weg aus seiner ihn unglücklich machenden, moralischen Unmündigkeit hin zu einem wirklich mündigen Umgang mit seinem Leben zu gehen. Es werden vielmehr platte Einzellösungen angeboten, welche nach dem Friss-oder-Stirb Prinzip kommentarlos übernommen werden sollen.

Dabei weiß die psychologische Forschung, dass bald alle Problemfelder nicht einfach separat und vom persönlichen Umfeld getrennt gelöst werden können. Soziale Interaktionen sind oft Schlüsselfaktoren für die Lösung eines bestimmten Problems, welches wiederum mit anderen Lebensbereichen direkt verknüpft sein kann. Auch hier spricht die wissenschaftliche Forschung eine klare Sprache. Rigide X Schritte-Programme oder oberflächliche Ansätze haben langfristig eine verschwindend geringe Erfolgsquote. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum es so viele von ihnen gibt.

Freiheit gibt es leider nicht umsonst

Ein wichtiger Schritt hin zu einer effektiven und wirklichen Problemlösung liegt wohl eher in einer vernünftigen Begleitung unter Einbeziehung des jeweiligen Umfeldes als in blindem Konsum massentauglicher Einzelmeinungen. Der Weg aus dieser durch unreflektierten Konsum aufrechterhaltenen, selbst verschuldeten Unmündigkeit liegt also in individueller Arbeit mit fundierter Anleitung, unter Einbeziehung ganz persönlicher sozialer Querverbindungen, welche laut psychologischer Studien einen signifikanten Einfluss auf jeden von uns haben.